Verhindern, dass das Licht ausgeht: 11 liberale Forderungen für Versorgungssicherheit und Klimaschutz

Beschluss des Landeshauptausschusses der FDP Baden-Württemberg, 9.7.2022, Bad Mergentheim


Verhindern, dass das Licht ausgeht: 11 liberale Forderungen für Versorgungssicherheit und Klimaschutz


Deutschland leistet einen entscheidenden Beitrag für das Vorankommen Europas. Damit dies auch weiterhin möglich ist, muss die oberste Priorität sein, dass die Versorgung mit Energie und insbesondere mit Erdgas aufrechterhalten wird, um Produktionsschließungen zu verhindern. Nach Auffassung der FDP Baden-Württemberg müssen sämtliche Potenziale, die einen Beitrag zur Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme leisten und uns unabhängiger von einseitigen Gaslieferungen machen können, genutzt werden. Gleichzeitig stehen wir aufgrund des fortschreitenden Klimawandels vor der Herausforderung die Klimaziele von Paris auf eine bezahlbare Art und Weise zu erreichen. Wir müssen also zunächst für Versorgungssicherheit sorgen ohne einen effektiven und effizienten Klimaschutz zu vergessen. Insbesondere ist es erforderlich, alle Möglichkeiten auszuschöpfen Energie in Form von Molekülen zu importieren und dabei auf erneuerbaren Wasserstoff und seine Derivate zu setzen. Eine Energieautarkie anzustreben halten wir für eine Utopie. Die FDP Baden-Württemberg ist überzeugt, dass wir beides sicherstellen können. Einseitige ideologische Betrachtungen von bestimmten Technologien und Lösungsmöglichkeiten lehnen wir ab.


Wir fordern daher:

  1. Schnellstmöglich für die kommenden fünf Jahre den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 in Deutschland sowie die Wiederaufnahme des Betriebs der Ende 2021 vom Netz genommenen drei Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen, Block C sicherzustellen und die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen. Der Prüfbericht des Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministeriums erfolgte rein nach Aktenlage. Die Weigerung des Bundeswirtschaftsministers und der Landesumweltministerin sich dem Thema anzunehmen, scheint rein ideologisch motiviert. Wir verurteilen zudem die Naivität hinter der Binsenweisheit des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, dass Atomkraftwerke kein Gas produzieren würden, sondern Strom. In 2021 lag in Deutschland der Anteil von Erdgas an der Stromerzeugung bei 12,6 Prozent, in 2020 sogar noch bei 13,7 Prozent. Dieser Anteil muss ersetzt werden. Ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke wäre in der aktuellen Situation zudem im Gegensatz zur zunehmenden Verstromung von Kohle ein klimafreundlicher Beitrag zur Versorgungssicherheit. Die genannten Kernkraftwerke können 66 TWh Strom pro Jahr produzieren. Wenn man diese Energiemenge mit Kohlekraftwerken erzeugen will, stößt das 73 Millionen Tonnen CO2 aus. Auch das IPCC empfiehlt den Einsatz von Kernenergie als Form der klimaneutralen Energiegewinnung. Die Möglichkeit zum Betrieb der Anlagen im Streckbetrieb begrüßen wir ausdrücklich. Aufgrund der Entwicklung der Versorgungssicherheit auf dem Weltmarkt soll eine befristete Neubeschaffung von Brennelementen für die entsprechenden Kraftwerke geprüft werden, ohne neue Abhängigkeiten von Russland und seinen Partnern zu schaffen.
  2. Dass die Landesregierung einen Plan vorlegt, wie schon jetzt Energie (insb. Gas) in öffentlichen Einrichtungen und Gebäuden des Landes und der Kommunen gespart werden kann. Beispielsweise kann es schon jetzt sinnvoll sein, das Beheizen von Schwimmbädern zu reduzieren oder zu stoppen.
  3. die Potenziale von CCUS-Technologien (Carbon Capture Use and Storage) zu heben und die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, insbesondere für den relevanten Einsatz von CCS. Dazu gehören: a) eine Weiterentwicklung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG), b) der Aufbau einer CO2-Infrastruktur oder c) die Umsetzung von Maßnahmen zur Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz für CCS. Damit schaffen wir die Möglichkeit die klimabilanziell sehr nachteiligen Kohlekraftwerke weiter in der Nutzung zu halten bis die Gaskrise vorüber ist oder ein ausreichender Anteil an Erneuerbaren Energien vorhanden ist, um die Stromproduktion klimaneutral zu gestalten. Die Kapazitäten für CCS werden ohnehin für alle verbliebenen Emissionen benötigt, die auch in Zukunft nicht vermieden werden können. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt mit der Speicherung von Klimagasen zu beginnen. Auch das IPCC empfiehlt den Einsatz von CCS als Möglichkeit CO2 dauerhaft der Atmosphäre zu entziehen bzw. vorzuenthalten.
  4. das Potenzial von Biogas vollumfänglich auszuschöpfen. Biogas kann für die Strom- und Wärmeproduktion oder als Treibstoff genutzt werden. Zurück bleibt mit dem Gärprodukt ein hochwertiges Düngemittel, reich an humusbildenden Stoffen und Nährstoffen. Damit schließt der Einsatz von Gärprodukten den natürlichen Nährstoff- und Humuskreislauf und ersetzt mineralischen Dünger, der sonst energiereich erzeugt werden muss. Auch der Beitrag zum Klimaschutz ist beträchtlich. Von über 60 Millionen Tonnen CO2- Äquivalenten Einsparung pro Jahr der Bioenergiebranche entfallen aktuell 20 Millionen Tonnen auf den Biogasbereich. Die Produktion von Nahrungsmitteln ist in Einklang mit der Biogaserzeugung zu bringen und je nach Welternährungslage neu zu bewerten. Damit das Potenzial besser ausgeschöpft werden kann, sind aus unserer Sicht erforderlich: a) die Anpassung von Auflagen, die die Rohstoffbasis unnötig einschränken und Anlagen mit unnötigen Auflagen und Kosten überziehen, b) die Steigerung der flexiblen Energiebereitstellung, c) der Ausbau der Mehrfachnutzung der Biomasse, um im Rahmen einer Kaskaden- oder Koppelnutzung die Konkurrenz zu anderen Verwertungsmöglichkeiten zu reduzieren oder d) die Schaffung von Voraussetzungen für einen unbürokratischen und wirtschaftlichen Weiterbetrieb der EEG-Anlagen, die zum Ende der Jahre 2022 bis 2026 ihren Zahlungsanspruch aus dem EEG verlieren.
  5. den Schatz der tiefen Geothermie zu heben. Geothermiekraftwerke sind grundlastfähig und können kontinuierlich Wärme oder Strom oder beides liefern – mehr als 8.000 Stunden pro Jahr mit voller Leistung Es entstehen bei der tiefen Geothermie praktisch keine Kohlendioxid-Emissionen. Außerdem nimmt die tiefe Geothermie im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energieformen wesentlich weniger Fläche in Anspruch. Um diesen enormen Schatz zu heben, braucht es unserer Ansicht nach die entsprechenden regulativen Rahmenbedingungen und Marktanreize, wie: a) die Anpassung der teilweise konkurrierenden Gesetzgebung (Raumordnung, Bodenrecht, Wasserrecht, sowie BBergG, BauGB, UVPG, GEG, WärmelieferVO etc.), b) beschleunigte Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung (z.B. Einrichtung einer behördlichen Genehmigungssteuerung, zeitlicher Genehmigungsanspruch z.B. analog zum Baurecht, Entfall von Zwischengenehmigungen etc.) oder c) die Ausweisung von Vorzugsflächen in der Flächennutzungsplanung.
  6. sämtliche Potenziale der Solarenergie auszuschöpfen und dabei den Flächennutzungskonflikt zwischen Energie- und Nahrungsmittelerzeugung zu lösen. Bereits bebaute Flächen sollen vorrangig für den Ausbau genutzt werden. Wir fordern praxistaugliche und unbürokratische regulative Rahmenbedingungen und Marktanreize wie beispielsweise: a) eine Vermarktungsoffensive von geeigneten Dachflächen und landeseigenen Grundstücken zum Zweck der Gewinnung von Solarenergie, b) die Schaffung von Voraussetzungen für eine unkonventionelle Anwendung von Photovoltaik-Anlagen wie auf Straßen, aufgelassenen Weinbergen, an Lärmschutzwällen, Hauswänden etc.) c) dass die Flächenkulisse für Solarparks unter Berücksichtigung landwirtschaftlicher und naturschutzverträglicher Aspekte maßvoll erweitert wird, dabei können auch Gewässer mit Floating-PV in Betracht gezogen werden. d) eine Rechtslage, die solare Eigen- und Direktvermarktung deutlich attraktiver macht.
  7. für einen beschleunigten und technologieoffenen Ausbau der erneuerbaren Energien zu sorgen. Förderungen und Investitionen in Erneuerbare Energien müssen klar dem Leitsatz „So viel Kilowattstunden wie möglich, für so wenig Euros, wie nötig“ folgen. Dazu fordern wir, dass: a) die Förderung des Ausbaus in einem volkswirtschaftlich sinnvollen Rahmen erfolgt, b) erneuerbare Energien, insbesondere Windenergie, nur dort ausgebaut werden, wo sie effektiv und volkswirtschaftlich sinnvoll sind und c) die Potenziale der Stromgewinnung aus der kleinen Wasserkraft weiter genutzt werden und diese entsprechend gefördert wird.
  8. die Potenziale von Fracking und der Gasförderung in Deutschland ergebnisoffen zu prüfen und ggf. weiter zu erschließen. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf innovative und umweltschonende Förderverfahren sowie den im Vergleich zu Importen von Fracking-Gas möglichen Einspareffekten bei Kosten und CO2 gelegt werden. Die bereits vorhandenen Anträge zur Erschließung neuer Gasförderstätten müssen endlich schnell bearbeitet werden.
  9. an der bisherigen Politik, Gaskraftwerke als Übergangstechnologie zur Grundlastsicherung zu nutzen, festzuhalten. Trotz der aktuellen Gasmangellage sollen mit Blick auf die Zukunft solche Anlagen projektiert werden und mit Hochdruck an internationalen Wasserstoffpartnerschaften gearbeitet werden. Mittel- und langfristig können Gaskraftwerke mit Wasserstoff und damit klimaneutral betrieben werden. Sie müssen also heute bereits so geplant werden, dass sie zukünftig Wasserstoff als Energiequelle nutzen können.
  10. die Anstrengungen zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und Baden-Württemberg zu verstärken und den Anteil an Wasserstoff im Erdgasnetz zu erhöhen. Grüner Wasserstoff aus Erneuerbaren oder roter Wasserstoff aus Kernenergie kann im Gasnetz Erdgas ersetzen und damit den Gasverbrauch senken. Die zahlreichen angestoßenen Projekte in diesem Bereich müssen daher schnellstmöglich genehmigt und umgesetzt werden.
  11. den Einsatz für mehr internationale Zusammenarbeit in der EU und darüber hinaus in Form von Energiepartnerschaften. Die Nationen der Welt haben unterschiedlichste Voraussetzungen für die Produktion erneuerbarer Energien. Wir erreichen eine zuverlässige Energieversorgung, die klimaneutral werden kann, nur durch globale Zusammenarbeit.